Crossing Thresholds: Decoloniality and Gender in Caribbean Knowledge
Der Workshop möchte Nachwuchswissenschaftler_innen (vor allem Doktorand_innen und
Postdoktorand_innen) die Gelegenheit zur Vorstellung eigener wissenschaftlicher Arbeiten und zum interdisziplinären Austausch aktueller dekolonial‐genderspezifischer Perspektiven im Bereich der Karibikforschung geben.
Adressierte Fachgebiete sind u.a.:
‐ Afrikawissenschaften
‐ Anglistik
‐ Amerikanistik
‐ Ethnologie
‐ Filmwissenschaften
‐ Gender Studies
‐ Geschichtswissenschaft
‐ Kulturwissenschaften
‐ Kunstgeschichte
‐ Lateinamerikanistik
‐ Medienwissenschaften
‐ Politikwissenschaft
‐ Romanistik
‐ Religionswissenschaften
‐ Soziologie
‐ Theaterwissenschaften
Tagungssprachen: Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch
Datum: 23.01 – 25.01.2013
Veranstaltungsort: Leibniz Universität Hannover
Romanisches Seminar
Königsworther Platz 1
30167 Hannover
Organisatorinnen:
Der Nachwuchsworkshop wird von der Gesellschaft für Karibikforschung e.V.
(SoCaRe) und dem Romanischen Seminar der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität
Hannover veranstaltet.
Die namentlichen Organisatorinnen sind:
– Pauline Bachmann (M.A.)
– Julia Borst (M.A.)
– Rebecca Fuchs (M.A.)
– Bastienne Schulz (M.A.)
– Martina Urioste‐Buschmann (M.A.)
– Prof. Dr. Anja Bandau
– PD. Dr. Martha Zapata Galindo
Themenfelder:
Aus einer dekolonialen Perspektive zu erschließende Themenfelder im karibischen Raum
können beispielsweise sein:
‐ genderkritische Betrachtungen von heteronormativen Herrschaftsrepräsentationen
‐ künstlerische Aushandlungen (Performancekunst, Theater, Film, Literatur) von
Genderdiskursen (z.B. im Kontext von Feminismus und Queerness) in der Karibik und
ihrer Diaspora
‐ auf Geschlechteridentitäten bezogene Migrationsbewegungen in und aus der Karibik
‐ female agency im Kontext von Sklav_innenaufständen, Marronage und politischen
Umwälzungsprozessen
‐ genuin karibische Frauenbewegungen
‐ schwulLesBische Partizipation in Politik, Gesellschaften und Religionen
‐ Homophobie
Konzept
Die kulturräumliche Verortung der Karibik entzieht sich bis heute einer wissenschaftlichen Eingrenzung. Koloniale Plantagenwirtschaft und Versklavung, postabolitionistische Migration asiatischer Kontraktarbeiter_innen in die Region und zeitgenössische diasporische Bewegungen aus ihr heraus sowie die Koexistenz von europäischen und Kreolsprachen haben die Karibik im Laufe der Jahrhunderte zu einer kulturellen Kontaktzone transozeanischer Bezugssysteme werden lassen. Im Kontext jener kolonialen Kreolisierungserfahrungen sind geschlechtliche Selbstverständigungen in der Karibik mit einem ambivalenten Verhältnis zu metropolitanen Genderdiskursen des Globalen Nordens verknüpft. Denn dekoloniale Denk‐ und Ausdrucksformen sind vor allem aus den globalen Verflechtungen hervorgegangen, welche sich aus (neo)kolonialen Machtgefällen heraus entwickelt haben. Sie ermöglichen karibischen Denker_innen eine Doppelperspektive, aus der sie sowohl den Westen als auch nicht‐westliche Epistemologien kritisch betrachten können.
Dekolonialität als Kritik am Universalitätsanspruch der westlichen Moderne und ihrer
Paradigmen fordert ein entsprechendes Denken, das auch nach der politischen
Unabhängigkeit der meisten Kolonien hegemoniale Machtmonopole der ehemaligen
Kolonialmächte im Blick behält. Das Konzept der Kolonialität als epistemologische Dominanz des Westens über Wissen, Bilder und Symbolsysteme ehemals kolonisierter Kulturen, impliziert eine Machtbeziehung zwischen ‚Zentrum’ und ‚Peripherie’ sowie die Kontrolle über kulturelle und epistemische Produktionen, die auch in der Gegenwart immer wieder neu generiert werden. Dieses Machtverhältnis darf nicht nur vor dem Hintergrund der Kategorie Race (Quijano) als Mechanismus der geopolitischen und sozialen Hierarchisierung betrachtet werden, sondern muss auf Überlegungen zur Konzeptionalisierung von Geschlechtlichkeiten ausgedehnt werden. So fordern dekoloniale Gendertheoretiker_innen ein Zusammendenken der Kategorien Race und Gender mit kolonialen Machtstrukturen, um die Wirkungsweise des „modern/colonial gender system“ (Lugones, „Coloniality“) aufzudecken und die ‚subalterne’ Andere nicht weiterhin durch einen Fokus auf die Emanzipierung der ‚weißen Frau’ zu marginalisieren und (epistemologisch) unsichtbar zu machen. Beispielhaft entwirft Gloria Anzaldúas Hybriditätskonzept der „mestiza consciousness“ ein feministisches Grenzdenken, das nicht nur die Rhetorik der Moderne und die Logik der Kolonialität aufbricht, sondern dekoloniale Optionen in kulturellen Grenzsituationen aus der gelebten Marginalitätserfahrung gender‐queerer Identitätspositionierungen intersektional (class, race, gender) in den Fokus nimmt.
Ziel des Workshops ist es daher, in einem interdisziplinären Kontext karibische Perspektiven zu beleuchten, die emische Auswege aus rein westlichen Feminismusparadigmen aufzeigen (Paravisini‐Gebert) und auf alternative prä‐ und dekoloniale Genderkonzeptualisierungen verweisen (vgl. z.B. Oyěwùmís Untersuchungen zu Gender bei den Yoruba).
Indem der biologisch motivierte Dimorphismus und das patriarchalisch‐heterosexuell angelegte Geschlechterverhältnis westlicher Prägung aufgebrochen werden (Mills), geraten zugleich auch schwulLesBische Geschlechteridentiäten, intergeschlechtliche Selbstverständnisse und Körperpraxen sowie Transgender‐Identitäten in den Blick (Lugones, „Coloniality“; Hawley), die vom „global design“ (Mignolo) der westlichen Heteronormativität empirisch und diskursiv unterdrückt werden. Ziel des Workshops ist es folglich u.a. im Sinne des Queerens vermeintlich universelle Paradigmen und Denkkategorien (Roßhart) kritisch zu hinterfragen, subversive Verschiebungen und Irritationen vermeintlich allgemeingültiger Denkmuster (Butler) zu erkunden und unter Einbezug ‚subalterner’ Wissensproduktionen im Sinne der dekolonialen Option neue Perspektiven auf Gender und Queerness zu generieren. Zentral ist hierbei der Gedanke, dass Gender und Queerness nicht isoliert, sondern im Sinne einer intersektionellen Betrachtungsweise (Lugones, „Coloniality“) immer in Relation zur Erfahrung der Kolonialität und zueinander gedacht (La Fountain‐Stokes) bzw. kritisch reflektiert werden müssen.
Unter diesen Blickwinkeln widmet sich der Workshop der Betrachtung von soziokulturellen Prozessen, Diskursen und performativen Ausdrucksformen, welche über die Schlüsselkategorie ‚Gender’ einen Zugang zur Analyse und Diskussion dekolonialer Paradigmen im karibischen Raum eröffnen. Im Sinne einer dekolonialen Erweiterung des Feminismus‐Diskurses sollen dabei einerseits karibische Postulate und Ausdrucksformen von Frauenemanzipation diskutiert werden. Andererseits sollen auch dekoloniale Anknüpfungspunkte zur Queer Theory erkundet werden, welche die Selbstverständlichkeit von patriarchalen naturalisierten Geschlechterkonstruktionen und Heteronormativitätsvorstellungen in der Region, vor dem Hintergrund alternativer nichtwestlicher Konzeptualisierungen, kritisch hinterfragen.
Bitte senden Sie Ihre Abstracts (300 Wörter) bis zum 31. Juli 2012 an
juniorresearch@caribbeanresearch.net .
Verwendete Literatur:
Anzaldúa, Gloria. Borderlands. La Frontera. The New Mestiza. San Francisco: Aunt Lute Books, 1999.
Butler, Judith. Bodies That Matter. New York, NY (u.a.): Routledge, 1993.
Castro‐Gómez, Santiago. „(Post)Coloniality for Dummies: Latin American Perspectives on Modernity,
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Debate. Hrsg. v. Mabel Moraña, Enrique Dussel und Carlos A. Jáuregui. Durham, NC (u.a.): Duke UP,
2008. 259‐85.
Castro Varela, María do Mar und Nikita Dhawan. „Gendering Post/Kolonialismus, Decolonising Gender:
Feministisch‐Postkoloniale Perspektiven.” Feminismus: Kritik Und Intervention. Hrsg. v. Ingrid Kurz‐
Scherf, Julia Lepperhoff, und Alexandra Scheele. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2009. 64‐80.
Hawley, John C. “Introduction.” Postcolonial, Queer: Theoretical Intersections. Hrsg. v. John C. Hawley. Albany,
NY: State U of New York P, 2001. 1‐18.
Lugones, María. „The Coloniality of Gender.” Globalization and the Decolonial Option. Hrsg. v. Walter D.
Mignolo und Arturo Escobar. London (u.a.): Routledge, 2010. 369‐90.
———. „Toward a Decolonial Feminism.” Hypatia 25.4 (2010): 742‐59.
La Fountain‐Stokes, Lawrence. „De sexilio(s) y diáspora(s) homosexual(es) latina(s): cultura puertorriqueña y lo
nuyorican queer.“ Debate Feminista. Las „raras“. 15.29 (2004): 123‐157.
Mignolo, Walter D. “Local Histories/Global Designs: Coloniality, Subaltern Knowledges and Border Thinking.
Princeton, NJ: Princeton UP, 2000.
Mills, Sara. „Postcolonial Feminist Theory.“ Contemporary Feminist Theories. Hrsg. v. Stevie Jackson und Jackie
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Oyěwùmí, Oyèrónké. The Invention of Women: Making an African Sense of Western Gender Discourse.
Minneapolis, Minn.: U of Minnesota P, 1997.
Paravisini‐Gebert, Lizabeth. „Decolonizing Feminism: The Home‐Grown Roots of Caribbean Women’s
Movements.”. Daughters of Caliban. Caribbean Women in the Twentieth Century. Hrsg. v. Consuleo
López Springfield. Bloomington, Ind. (u.a.): Indiana UP (u.a.), 1997, 3‐17.
Quijano, Aníbal. „Coloniality and Modernity/Rationality“. Globalization and the Decolonial Option. Hrsg. v.
Walter D. Mignolo und Arturo Escobar. London (u.a.): Routledge, 2010. 22‐32.
Roßhart, Julia. „Queere Kritiken, Kritiken an Queer: Debatten um die Entselbstverständlichung des
feministischen Subjekts.” Feminismus : Kritik Und Intervention. Hrsg. v. Ingrid Kurz‐Scherf, Julia
Lepperhoff und Alexandra Scheele. Münster: Westfälisches Dampfboot, 2009. 48‐63.